40º Aniversário da Constituição da República Portuguesa

37 Dieter Grimm Widerstrebens einzelner nationaler Verfassungsgerichte feststellte, selbst gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht. Auch wenn der Vorrang des Gemeinschaftsrechts im Allgemeinen nicht mehr bestritten ist, wird er hinsichtlich der nationalen Verfassungen von zahlreichen nationalen Verfassungsgerichten doch nur begrenzt akzeptiert. Der Identitätskern der Verfassungen wird gegen den Vorranganspruch des europäischen Rechts verteidigt. Die nationale Verfassung enthält controlimiti, wie die italienische Corte costituzionale festgestellt hat. Das gilt nicht nur für Normen des Europarechts, die die Identität der nationalen Verfassungen missachten, sondern auch für die Interpretation von Europarecht, sofern die identitätsverletzende Wirkung erst von diesen ausgeht. Die nationalen Verfassungsgerichte wehren sich damit gegen eine schleichende Aushöhlung des nationalen Verfassungsrechts unter Umgehung der Mitgliedstaaten. Unbestritten genießen allerdings europäische Rechtsakte, die in den Verträgen keine kompetenzielle Grundlage haben, keinen Vorrang. Sie sind ungültig. Strittig ist dagegen nach wie vor, wer in einem Kompetenzkonflikt das letzte Wort hat. Der Europäische Gerichtshof reklamiert es für sich, mehrere Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten sind nicht bereit, das hinzunehmen. Hinter dem Streit stehen verschiedene Auffassungen über den Geltungsgrund des Unionsrechts. Während der EuGH der Ansicht ist, dass sich das europäische Recht vom Willen der Mitgliedstaaten emanzipiert habe, beharren die nationalen Verfassungsgerichte darauf, dass es seine innerstaatliche Anwendbarkeit dem nationalen Rechtsanwendungsbefehl verdanke und daher von diesem begrenzt werde. Das ist, soweit ich sehe, auch die Ansicht des portugiesischen Verfassungsgerichts. Die nationalen Verfassungen behalten schließlich Bedeutung, soweit der europäische Gesetzgeber von einer übertragenen Zuständigkeit in der Weise Gebrauch macht, dass seine Normen in denMitgliedstaaten nicht ohne weiteres anwendbar sind, sondern einer Umsetzung durch die nationalen Rechtsetzungsorgane bedürfen, also insbesondere bei Richtlinien. Sie räumen dem nationalen Gesetzgeber Entscheidungsspielräume ein, die er dann nach seinen eigenen Vorstellungen, aber nicht im Widerspruch zur nationalen Verfassung nutzen kann. Dort wo die gemeinschaftsrechtliche Bindung aufhört, fängt die verfassungsrechtliche Bindung an. Das hat insbesondere für die Frage Bedeutung gewonnen, wann die nationalen, wann die europäischen Grundrechte zur Anwendung kommen. Auch hier ist aber das Ausmaß der Bindung zwischen dem EuGH und den nationalen Verfassungsgerichten strittig. Die Bedeutung, die der nationalenVerfassung nach den vorangegangenen Feststellungen verbleibt, wird von dem Umstand bestimmt, dass sie Staatsverfassung ist und sich daher keine höhere Relevanz bewahren kann, als sie dem Staat im 21. Jahrhundert zukommt. In dem Maß, wie er Zuständigkeiten an supranationale Organisationen abgegeben oder verloren hat, schrumpft auch die Bedeutung der nationalen Verfassung. Sie verengt sich auf die Regelung derjenigen öffentlichen Gewalt, die weiterhin Staatsgewalt ist. Selbst insoweit kann sie ihren Regelungsanspruch aber nicht mehr in vollemUmfang behaupten, denn dort wo die nationale Staatsgewalt lediglich als Vollzugsorgan von internationalem Recht tätig wird, kommt diesem Vorrang zu. Prüft man, wie sich der Verlust auf diejenigenMerkmale auswirkt, welche die Verfassung zur Errungenschaft gemacht haben, dann erweist sich vor allem der Anspruch der Verfassung, die in ihrem territorialen Geltungsbereich ausgeübte öffentliche Gewalt umfassend zu regeln, als betroffen. Akte supranationaler Einrichtungen in ihrem Geltungsbereich entgleiten

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