40º Aniversário da Constituição da República Portuguesa

33 Dieter Grimm Staaten, die für ihr Territorium denselben Anspruch erhoben. Trotz ihres Anspruchs auf universale Gültigkeit wurde die Verfassung infolgedessen partikular verwirklicht. Sie war Staatsverfassungund lebteals solchevonderklarenUnterscheidungzwischenInnenundAußen. Keine Verfassung unterwarf die eigene Staatsgewalt einer fremden Herrschaft oder erkannte Akten einer fremden Herrschaft Bindungswirkung in ihrem räumlichen Geltungsbereich zu. Oberhalb der Staaten gab es keine öffentliche Gewalt. Es gab nur Selbstbindung von Staaten, die wegen ihrer Freiwilligkeit das Selbstbestimmungsrecht unberührt ließen und im Übrigen auch von keiner höheren Instanz durchgesetzt werden konnten. Vor diesem Hintergrund lässt sich nun präziser nach dem Platz der Verfassung im 21. Jahrhundert fragen. Wenn die Identität von öffentlicher Gewalt und Staatsgewalt Voraussetzung für die Einlösung des umfassenden Geltungsanspruchs der Verfassung war, dann liegt es nahe, hier die Bruchstelle zu suchen, falls der Platz der Verfassung sich ändert. Solche Veränderungen sind in derTat nach demZweitenWeltkrieg eingetreten und haben sich nach der welthistorischen Wende von 1989/90 beschleunigt fortgesetzt. Sie bestehen darin, dass die Staaten zunächst zur Friedenssicherung, später auch aus anderen Gründen, dazu übergegangen sind, supranationale Einrichtungen zu bilden, die – anders als die traditionellen Bündnisse und Allianzen – nicht nur staatliche Aktivitäten koordinieren, sondern eigene Hoheitsrechte zur Verwirklichung gemeinschaftlicher Ziele erlangt haben, die sie mit Wirkung für die Staaten ausüben dürfen und denen diese sich nicht widersetzen können. Die Bildung einer überstaatlichen Hoheitsgewalt begann bereits mit der Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945. Die Mitgliedstaaten der UN verzichten nicht nur auf das Recht, ihre Konflikte gewaltsam auszutragen, die Selbstverteidigung ausgenommen. Sie ermächtigen vielmehr auch die UN, den Gewaltverzicht im Verletzungsfall durchzusetzen, wenn nötig mit militärischen Mitteln, aber auch auf zivile Weise, zum Beispiel mittels gerichtlicher Verfahren. Die UN haben damit Anteil an der öffentlichen Gewalt gewonnen. Die Identität von öffentlicher Gewalt und Staatsgewalt hat sich aufgelöst. Die nationalen Grenzen sind für Akte internationaler öffentlicher Gewalt durchlässig geworden. Die strikte Trennung von Innen und Außen, von der die Erfüllung des umfassenden Regelungsanspruchs der Verfassung abhing, besteht nicht mehr. Das Völkerrecht befindet sich seitdem in einem tiefgreifendenWandel. Dreihundert Jahre lang war die Souveränität der Staaten seine Grundlage. Eine über den Staaten stehende Macht wäre damit nicht vereinbar gewesen. Völkerrecht konnte unter diesen Umständen nur aus freiwilliger Übereinkunft der Staaten hervorgehen. Es war Vertragsrecht oder Gewohnheitsrecht. Das Völkerrecht kannte nur einen zwingenden Satz, ohne den das System der Selbstkoordination hinfällig gewesen wäre, nämlich pacta sunt servanda. Aber auch dieses Gebot ließ sich nicht zwangsweise durchsetzen. Ebenso wenig wie es einen überstaatlichen Gesetzgeber gab, gab es überstaatliche Vollzugsorgane. Die Souveränität schloss es aus, dass Völkerrecht durch die Staatsgrenzen hindurchgriff. Für die innerstaatlichen Verhältnisse war es blind. Heute wird der UN auch das Recht zur humanitären Intervention zuerkannt, wenn ein Staat die fundamentalen Menschenrechte seiner Bevölkerung oder bestimmter Bevölkerungsgruppen missachtet. Eine responsibility to protect bildet sich heraus. Das Völkerrecht endet nicht mehr an den Staatsgrenzen. Der Weltsicherheitsrat beansprucht Normsetzungsbefugnisse. Durch Beschluss dieses Gremiums, nicht etwa durch einen Vertrag der UN-Mitgliedstaaten, sind die Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda gegründet worden, deren Tätigwerden von der Zustimmung der betroffenen Staaten

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